Die Mainzer Bürgermiliz - Bürgersoldaten in der Festung Mainz 1648-1848

von Dirk Fey

Kurmainzer Jäger um 1793

Die Eigenschaft der Stadt Mainz als Festung hatte eine ganze Reihe von Auswirkungen auf das Leben ihrer Bürger. Zunächst einmal mußte jeder Bürger, sofern er nicht aufgrund eines Privilegs (z. B. der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stand) davon befreit war, seinen Beitrag zur Verteidigung der Stadt leisten: die sogenannte Schatzung zahlen, Wachdienst leisten oder Einquartierungen von Soldaten aufnehmen.Durch seine begrenzten finanziellen Möglichkeiten war der Mainzer Erzbischof nicht in der Lage, neben der Unterhaltung der Festungsanlagen auch ausreichend Truppen zur Verteidigung von Mainz bereitzustellen.

Die Stärke der Armee des Kurstaates betrug vom 17. bis ins 18. Jahrhundert meist zwischen 1500 und 3000 Soldaten, nur in Kriegszeiten erreichte sie auch eine Stärke von bis zu 6000 Mann. Das reichte nicht aus, um die weitläufigen Festungsanlagen in und um Mainz zu besetzen, für deren Verteidigung nach zeitgenössischen Schätzungen Mitte des 18. Jahrhunderts bis zu 18000 Mann benötigt wurden, ganz zu schweigen von der Verteidigung der restlichen Gebiete des Kurstaates. Zudem besaß das Mainzer Militär keinen guten Ruf. Schlechte Ausbildung, ungenügende Unterbringungsmöglichkeiten und der armselige Sold trugen nicht zur Besserung dieses Umstandes bei. Aufgrund ausstehender Soldzahlungen stand die Garnison der Stadt oft am Rande der Meuterei, im Jahre 1697 drohte gar eine Hungersnot bei den Mainzer Soldaten. Truppen aus anderen Teilen des Reiches halfen besonders in Krisenzeiten, die Bastionen der Festung zu besetzen.

Die Anfänge der Bürgermiliz

Aus der Verpflichtung aller Bürger, Wachdienst zu leisten, hatte sich Mitte des 16. Jahrhunderts die Bürgermiliz gebildet. Der oberste Vorgesetzte der Bürgermiliz war seit Mitte des 17. Jahrhunderts der kurmainzische Festungskommandant, die Offiziere und Soldaten wurden von den Bürgern gestellt. Um 1657 bildeten insgesamt 150 Bürger die Stadtmiliz, darunter 19 verschiedene Dienstgrade und 131 Musketiere. Ihre Aufgaben bestanden in der Bewachung einzelner Tore, teilweise zusammen mit den Garnisonssoldaten, und in nächtlichen Patrouillengängen in den Straßen der Stadt, bei denen sie die Einhaltung der verschiedenen Vorschriften (wie z. B. die des Feuerlöschwesens) überprüften und für Ruhe und Ordnung sorgten. Schlägereien der Patrouillen mit den Betroffenen, Bürgern wie Soldaten, blieben dabei nicht aus; beim Versuch, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, bezogen auch die Angehörigen der Bürgermiliz manches Mal Prügel.

Die Soldaten der Bürgermiliz mußten sich selbst um ihre Bewaffnung kümmern, eine Aufgabe, die von den Mainzern offenbar nicht sehr ernstgenommen wurde; wiederholt wurde den Bürgern unter Androhung von Strafe befohlen, ihre altertümlichen Flintenrohre gegen richtige Musketen auszutauschen. Trotzdem boten die Soldaten der Bürgerwehr in der Bewaffnung weiterhin ein buntes Bild: Quellen belegen, daß sie auf ihren Patrouillengängen sogar Morgensterne mit sich führten. Angehörige der Bürgermiliz mit besonderen Privilegien waren die "Hausbüchsenmeister". Das waren Bürger der verschiedensten Berufe, deren Aufgabe unter anderem die Bedienung der Festungsgeschütze war. Als "gefreite Personen" waren sie im Gegenzug von vielen Abgaben befreit.

In Krisenzeiten wurde die Zahl der Bürgermiliz erhöht. So bestand die Bürgermiliz bei einer Musterung im Jahre 1678 aus 728 Mann. Auch im Jahr 1745, mitten im Österreichischen Erbfolgekrieg, war der Bedarf an Soldaten wieder groß und es wurden drei neue Bürger-Regimenter ausgehoben, zusätzlich verstärkt durch die Mitglieder der Schützengesellschaften. Die Bürger mußten jetzt nicht mehr für ihre eigene Bewaffnung sorgen; bei Eintritt in die Bürgerwehr erhielten sie gegen Hinterlegung einer Geldsumme ein Gewehr.

Aufgaben und Alltag der Bürgermiliz

Mainz mit seinen sechs Stadtbezirken um 1755 [StA Mainz]

Durch eine kurfürstliche Verordnung vom 6. Mai 1750 wurde Mainz in sechs Bezirke aufgeteilt. Aus den in dem jeweiligen Bezirk lebenden Bürgern wurde ein Hauptmann mit einem Ober- und Unteroffizier, ein Feldwebel und ein Musterschreiber bestimmt. Diese hatten in ihrem Bezirk vierteljährlich Visitationen zu machen und die Läden und Häuser der Bürger auf die Einhaltung der diversen Vorschriften zu prüfen. Sie wurden begleitet von Zimmerleuten, Maurern und Kaminfegern, die mithalfen, die Sicherheit im Bezug auf Standfestigkeit und Feuergefährdung der Gebäude zu überprüfen. Auch in der Komission zur Verbesserung der Armenpflege waren Bürgeroffiziere vertreten, da sie durch die Visitationen die wirtschaftliche Lage der Bürger ihrer Stadtbezirke am besten kannten. Mit ihrer Hilfe wurden Listen der Bedürftigen erstellt. Eine weitere, schaurige Aufgabe der Bürgermiliz war die Überwachung der reibungslosen Durchführung der Exekutionen. Hierbei sorgten die Bürgersoldaten für einen geregelten Ablauf der Hinrichtung.

Die Offiziere der Bürgermiliz nahmen einen besonderen Rang im gesellschaftlichen Leben von Mainz ein. Meist waren es die finanziell gut gestellten Gruppen der Einwohner, deren Mitglieder die Offiziersposten besetzte. Ihr Stolz zeigte sich in Portraits wie dem des "Kapitainlieutenants" der Bürgermiliz Johann Kertell, der sich in seiner prunkvollen Uniform malen ließ. Auf die zu seinem Amt gehörigen Pflichten scheint er weniger Acht gehabt zu haben: Als 1792 Mainz vor den Franzosen kapitulieren mußte und er die Befehlsgewalt über die Verteidiger des Neutors hatte, soll er zur gewohnten Tischzeit nach Hause gegangen sein und das Kommando seinem Sohn übergeben haben. Dieser habe dann das Tor den Franzosen übergeben und sei mit dem Rest der Bürgermiliz abgezogen. Übel genommen hat ihm das anscheinend niemand; nach der Rückeroberung der Stadt wurde er 1794 Bürgerhauptmann.

Zumindest ein Teil der Einwohner von Mainz scheint damals die Einstellung Kertells geteilt zu haben. Unter den etwa 2000 Mainzern, die zu dieser Zeit als Verstärkung der Garnison auf den Wällen Dienst taten, befanden sich auch 150 Studenten, deren Wachrunden sie nach Mitteilung von Zeitgenossen aber öfter in ein Wirtshaus als auf die Wälle der Festung führten. Über die Schlagkraft der Bürgermiliz gibt ein Ereignis wenige Jahre zuvor Auskunft. Die 66 Soldaten der Festungsartillerie sollten im Ernstfall durch 30 Bürger, die entsprechend ausgebildet worden waren, unterstützt werden. Als 1789 eine Schießübung stattfinden sollte, lehnte der Leiter der Schießübung die Teilnahme der Bürger, die in ihrem Leben noch keinen Schuß abgegeben hatten, als viel zu gefährlich ab.

Ein neuer Anfang

Das Ende des kurfürstlichen Staates bedeutete auch das Ende für die Bürgermiliz. Nach dem Ende der französischen Besetzung fiel Mainz 1816 an Hessen-Darmstadt. Im Bezug auf alle Angelegenheiten, welche die Festungseigenschaft der Stadt betrafen, waren die Zivilbehörden jedoch dem Gouverneur der Festung untergeordnet. In Mainz war jetzt eine 7000 Mann starke Garnison stationiert, mit Truppen aus Preußen und Österreich, die abwechselnd Gouverneur und Vizegouverneur stellten. Das Zusammenleben der beiden Mannschaften erwies sich als schwierig. Immer wieder gab es Reibereien zwischen Preußen und Österreichern, manchmal auch zwischen den Soldaten und den Bürgern. Die Österreicher waren dabei sehr viel beliebter bei den Mainzern als die Preußen. Man half dem Problem der häufigen Zusammenstöße ab, indem man die Ludwigsstraße als Grenze zwischen dem von den Österreichern besuchten nördlichen und dem preußisch dominierten südlichen Teil der Altstadt einführte.

Der Kampf am Theater am 21. Mai 1848

Am 21. Mai 1848 kam es zu schweren Auseinandersetzungen vor dem Theater [StA Mz BPS]

Als im Revolutionsjahr 1848 wiederholt tätliche Angriffe auf Amtspersonen und blutige Zusammenstöße zwischen preußischen Soldaten und Mainzer Bürgern stattfanden, beschloss der Stadtrat am 3. März die Aufstellung einer Bürgerwehr, um die öffentliche Ordnung wieder herzustellen. Das Staatsministerium gab am 4. März seine Zustimmung, so dass eine Bürgerwehr, nach Stadtvierteln abgeteilt und aus Freiwilligen bestehend, aufgestellt werden konnte. Als es am 22. März erneut zu Ausschreitungen gegen preußische Soldaten kam, konnte die Bürgerwehr die aufgebrachte Menge, die mit dem Ruf: "Schlagt die Preußen tot!" auf ihre Opfer losging, von Schlimmerem abhalten. Nun erteilte die Regierung in Darmstadt die Erlaubnis zur Bewaffnung der Bürgerwehr und schickte 1000 Gewehre, ohne diese Maßnahme jedoch mit dem Festungsgouvernement, das über alle militärischen Belange in der Stadt zu entscheiden hatte, abzusprechen.

Am 22. April bezog die Bürgerwehr, bewaffnet und in Uniform, ihr Quartier im linken Seitenflügel des Theaters. In den darauf folgenden Wochen radikalisierte sie sich immer mehr. Als am 21. Mai wieder einmal ein Krawall zwischen preußischen Soldaten und Zivilisten ausbrach und sich ausweitete, ließ der Vizegouverneur den Generalmarsch blasen. Die Mitglieder der Bürgerwehr deuteten das Verhalten der Soldaten, die in Richtung ihres Sammelplatzes auf dem Schillerplatz eilten, als versuchten Angriff auf ihre Wache im Theater und verwickelten sie deshalb vor dem Theater in einen Kampf. Vier tote und mehrere Dutzend verletzte Soldaten waren das Resultat dieser Auseinandersetzung.

Die Reaktion des Vizegouverneur erfolgte prompt. Er ließ als Machtdemonstration vom Kästrich und von der Zitadelle aus die Rohre der Geschütze auf die Stadt richten und griff hart durch. Mit Hinweis auf das geltende Festungsreglement verbot er alle öffentlichen Versammlungen und befahl die sofortige Entwaffnung und Auflösung der Bürgerwehr.

Empfohlene Zitierweise

Fey, Dirk: Die Mainzer Bürgermiliz - Bürgersoldaten in der Festung Mainz 1648-1848. In: festung-mainz.de [02.05.2005], URL: <http://www.festung-mainz.net/bibliothek/aufsaetze/festungsgeschichte/buergermiliz.html>
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Literaturhinweis

Brodhaecker, Michael: Der 21. Mai 1848 in Mainz. Dokumentation der politischen und sozialen Unruhen in der Bundesfestung anhand der Quellen. In: Mainzer Geschichtsblätter, Heft 11 (1999), S. 20-37.

Weblink

Militär und Bürgerwehr - wieviel Ordnung braucht die Revolution?
Diese Internetseite des Zentrums für Berlin-Studien an der Zentral- und Landesbibliothek Berlin informiert über die Bürgersoldaten der Revolution von 1848 - u.a. mit vielen Quellen.