Die Bebauung der Mainzer Bleichen

von Stefan Dumont

Die Bleichen

Die Bleichenwiesen (links von der Stadtmauer) auf einem Stadtplan von Merian um 1637 [StA Mainz BPS]

Das Gebiet der heutigen Bleichen war bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts unbebautes Wiesenland, das innerhalb der Stadtmauern lag. Auf den sumpfigen Wiesen legten die ansässigen Weber ihre neu gewebten Leinen aus, um sie so in der Sonne natürlich aufhellen zu lassen. Von dieser Nutzung kommt auch der Name, den das Stadtviertel noch heute trägt. Erstmals erwähnt wurde dieser Name in einer Urkunde über einen Grundstücksverkauf aus dem Jahre 1270.

Des Weiteren wurden auf den Wiesen viele Hühner gehalten und Obstbäume angepflanzt. Letzteres war wohl auch der Grund dafür, warum dieses sumpfige, unbebaubare Gelände geschützt innerhalb der Stadtmauern lag. Es sollte in Kriegszeiten der Bevölkerung als Nahrungsmittelquelle dienen.

Umschlossen wurde das Wiesenland vom Zeybach, der sich - von Bretzenheim kommend - hinter der Altmünstermühle in zwei Arme teilte. Beide Bachläufe umflossen die Wiesen und sorgten für eine mehr als ausreichende Bewässerung, so dass eine Bebauung nicht möglich war. Außerdem legten dienten sie als Begrenzung für das Bleichengelände.
Im Nordosten der Bleichen stand das kurfürstliche Schloss und die Martinsburg, während im Südosten einige Häuser die Straße zur Altmünsterpforte säumten. Im Südosten stieß die Mainzer Altstadt auf die Wiesen, die im Nordwesten von der Stadtmauer begrenzt wurden.

Ein neues Stadtviertel entsteht

Das Bleichenviertel (Bezeichnung "E") auf einem Stadtplan von Johann Peter Schunk aus dem Jahr 1784. Gut zu erkennen ist die neuzeitliche Straßenführung im Gegensatz zur verwinkelten Altstadt [StA Mainz BPS]

Nach dem Ende des 30-jährigen Krieges sorgte sich Kurfürst Johann Philipp von Schönborn um die Sicherheit der Stadt Mainz. Er ließ daher die Stadt ab 1655 mit einem regelmäßigen, bastionären Festungsgürtel umgeben. Für den Bau der weitläufigen Festungsanlagen mussten allerdings auch viele Grundstücke enteignet werden, so zum Bespiel der Vorort Vilzbach, der fast gänzlich dem Festungsnau zum Opfer fällt. Als Ersatz bot der Kurfürst den von anderen Stellen der Stadt vertriebenen Bürgern Ersatzgrundstücke auf den Bleichenwiesen an.

Damit die Wiesen allerdings bebaut werden konnten, wurde der Zeybach um 1657 vor der Stadt in die Festungsgräben der Gartenfeldfront (Lage auf der heutigen Kaiserstraße) umgeleitet, um das sumpfige Gelände trocken zu legen. Im Jahr 1663 ließ Johann Philipp von Schönborn erst die "Große Bleiche" ausmessen, dann folgten die beiden kleineren, nördlicher gelegenen Straßen.

Die drei neuen Straßen "Große Bleiche", "Mittlere Bleiche" und "Hintere Bleiche" verliefen schnurgerade in Ost-West-Richtung und wurden durch Querstraßen in kleinere Wohnblöcke unterteilt. Somit war das Bleichenviertel die erste nach barocken und neuzeitlichen Gesichtspunkten geschaffene Stadtanlage. Der schachbrettartige Grundriss der breit angelegten Straßen stand so im krassem Gegensatz zu den engen und verwinkelten Gassen der Mainzer Altstadt. Trotzdem wurde der Verlauf vieler Straßenzüge der Altstadt in den Querstraßen des Bleichenviertels aufgenommen.

Die Bebauung vom Bürgerhaus zum Adelspalais

Der Neubrunnenplatz mit dem Wolf-Metternischen Hof (rechts) und der Burse (links) auf einem Stahlstich von E. Höfer um 1845 [StA Mainz BPS]

Kurfürst Johann Philipp von Schönborn planten in dem neu entstandenen Stadtviertel vorwiegend Bürger anzusiedeln. Zum einen sollten dies Mainzer sein, zum anderen aber auch Neubürger von Auswärts. Von letzteren erhoffte sich der Kurfürst die Ansiedlung neuer Manufaktoren. Die "Großen Bleiche" hingegen plante man als Prachtstraße, an der sich Adelspalais ansiedeln sollten. Zur Versorgung des Bleichenviertels sollte auch der heutige Neubrunnenplatz als Marktplatz beitragen.

Allerdings entwickelte sich das Viertel nicht so wie geplant. Während sich an der großen Bleiche nur Bürger mit schlichten Häusern niederlassen, vollzieht sich die Besiedelung der Mittleren und Hinteren Bleiche eher gemächlich. Neubürger ziehen gar nicht dorthin.

Erst um 1720 unter Kurfürst Lothar Franz von Schönborn, entwickelt sich das Bleichenviertel weiter. Lothar Franz v. Schönborn bemerkt die schlechte Wasserversorgung des erste einige Jahrzehnte alten Stadtviertels. Deshalb lässt er 1724-28 von Bretzenheim aus eine Wasserleitung bauen, die die Bewohner der Bleichen mit frischem Trinkwasser versorgt. Die Wasserleitung, deren Brunnenstube in Bretzenheim noch heute existiert, wurde nach ihrem Bauherrn "Schönborngalerie" benannt. Im gleichen Zuge errichtete er zwei Brunnen. Der erste stand an der Mittleren Bleiche und diente zum Wasserholen, während der zweite auf dem bisherigen Marktplatz errichtet wurde und vor allem repräsentativ wirken sollte: der "Neue Brunnen".

Der Schönbrunn, wie er anfangs noch genannt wird, besteht aus einem Becken, in dem zwei Nymphen und die beiden Flussgötter Rhein und Main das Wasser ins Becken gießen. Der 12m hohe Obelisk in der Mitte zeigt auf den vier Seiten Bilder aus den Themenkreise Krieg, Handel, Künste und Staatshaushaltung. Oben wurde der Obelisk bis zur französischen Besatzung 1798 mit einem Kurhut bekrönt. Die zwei Nymphen wurden 1828 von zwei Sphinxen ersetzt. Der "Neue Brunnen" ist ein herausragendes Bespiel für die barocke Selbstdarstellung des Kurfürsten.

Mit der neuen Wasserversorgung entstehen auch allmählich die ersten Adelspalais und einige Häuser, in denen Beamte des Kurstaates wohnen. Später komplettieren einige kurfürstliche Einrichtungen, wie der Marstall, das Bleichenviertel.

  • Von 1728-33 entsteht als erster barocker Adelspalais der spätere Stadioner Hof. Der Bauherr Lothar Franz von Rollingen erhält "auf seinen kostbaren neuen Hausbau zu besonderer Zier und Ansehen der Stadt" sogar Steuerfreiheiten vom Kurfürsten. Vom Grafen Friedrich von Stadion-Thannhausen, der 1737 das Gebäude erwirbt, erhält der Hof seinen Namen. Im 19. Jahrhundert dient der Stadioner Hof dann als Sitz für den Vizegouverneur der Bundesfestung Mainz.
  • Nur wenig später als der Stadioner Hof entstehen am nordöstlichen Rande des Bleichenviertels 1742/43 die Eltzer Höfe. Der Bauherr Anselm Kasimir von Eltz ist der Neffe des zu dieser Zeit amtierenden Kurfürsten. Die um die Straßenecke geführten Eltzer Höfe bilden mit dem kurfürstlichen Marstall später eine einheitliche Blockbebauung.
  • 1766/67 wird an der Großen Bleiche der kurfürstliche Marstall errichtet und 1770 mit einer Reithalle und einem weiteren Anbau erweitert. Er dient dem Kufürsten als Reitstall für seine Pferde und Remise für seine Kutschen. Von 1815 - bis 1930 steht der Bau teilweise als "Golden-Ross-Kaserne" zur Verfügung. Die Reithalle wird im 18. Jahrhundert zeitweise zum Theater. Der Bauhof und die Artilleriekaserne ergänzen später die kurfürstliche Bebauung im nordöstl. Bleichenviertel.
  • Am Neubrunnenplatz entstehen am Anfang des 18. Jahrhunderts drei stattliche Häuser: zum einem der Wolf-Metternische Hof, und zum anderen die beiden Hees'schen Häuser. Letztere kauft 1740 die Universität, als Ersatz für die zu klein gewordene Burse zum Schenckenberg. Von den beiden Häusern sind nur noch zwei Madonnen erhalten, die am Neubrunnenplatz aufgestellt wurden.

Ausblick: 19. und 20. Jh.

Parade der preußischen und österreichischen Garnison auf der Großen Bleiche in der Zeit der Bundesfestung (um 1860) [StA Mainz BPS]

Das Bleichenviertel entwickelt sich im 19. Jahrhundert zu einer zentralem und repräsentativem Stadtviertel, in dem sich auch Kultur und Gewerbe niederlassen. Insbesondere der Bau der Straßenbrücke und die Rheinuferaufschüttung 1875 fördert die "Große Bleiche" als Verkehrsachse. Mit der Neustadterweiterung von 1872 werden zudem die Straßenfluchten des Bleichenviertels übernommen.

Bei den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs wird das Bleichenviertel zu 80% zerstört.

Stadtgeschichtliche Bedeutung des Bleichenviertels

Die Bebauung der Bleichen um 1660 unter Johann Philipp von Schönborn war die erste und einzige Stadterweiterung der Neuzeit bis zur Errichtung der Neustadt 1872.
Das Bleichenviertel dokumentiert mit seiner Straßenanlage und teilweise noch erhaltenen Bebauung die Geschichte von Mainz als kurfürstliche Residenzstadt im Zeitalter des Barocks.

Benutzte Literatur

Darapsky, Elisabeth: Mainz. Die kurfürstliche Residenzstadt 1648-1792. Mainz 1995.
Diepenbach, Wilhelm: Geschichte der "Bleich" und des Hauses Große Bleiche 27. und 27 1/10 (= Die Burse). In: Fischer, A. und E. 1880-1930. Mainz 1930. S. 13 - 25.
Dölling, Regine (Bearb.): Mainzer Barockpalais. 2. Auflage. Neuss 1977.
Krienke, Dieter (Bearb.): Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz. Bd. 2.3: Stadt Mainz. Vororte. Worms 1997. (= Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland).

Dieser Text entstand im Rahmen eines Referats an der Universität Mainz in der Übung "Mainz als Kurfürstliche Residenz und Festung 1462 - 1793" bei Prof. Dr. Walter G. Rödel.

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